Entsolidarisierung durch Eigenverbrauch?

Gunnar KaestleIn letzter Zeit häufen sich Äußerungen zum Thema Eigenverbrauch, die eine ganzheitliche Sicht auf das energiewirtschaftliche Gesamtsystem vermissen lassen. In einem Kommentar widmet sich Gunnar Kaestle der Erläuterung der eigentlichen Problematik aus wissenschaftlicher Sicht und erläutert oftmals übersehene Zusammenhänge.

Entsolidarisierung?
Zu allererst hat das Wort der Entsolidarisierung in diesem Zusammenhang einen populistischen Beigeschmack und hilft einer sachlichen Debatte wenig. Der Eigenverbraucher ist in erster Linie ein Eigenerzeuger und investiert vor der eigenen Haustür beziehungsweise auf dem eigenen Grundstück in Erzeugungsanlagen auf Basis von erneuerbaren Energien oder der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung. Damit ist er ein Treiber der Energiewende und kein Sozialschmarotzer. Es ist auch im Sinne der Energiewende, wenn Investitionen in Eigenverantwortung angeregt werden. Dies kann man als Alternative zum Einzahlen in einen allgemeinen Fonds sehen, der eher fremdbestimmte Investitionen fördert. Dies lässt sich sogar als marktwirtschaftliche motivierte Entscheidungsoption interpretieren: Man hat die Wahl entweder selbst zu investieren oder über das Umlagesystem investieren zu lassen.

BLACKOUT von Marc Elsberg

BLACKOUT von Marc Elsberg

Weiterhin ist nur schwer nachzuvollziehen, wie ein Eigentümer einer PV-Anlage als „entsolidarisierendes Schadelement“ gebrandmarkt wird, wohingegen ein stromsparender Kühlschrank – der zum selben Ergebnis einer Entsolidarisierung mit Netzstrom führt – nach wie vor als angestrebtes Ziel zur Senkung des Stromverbrauchs gesehen wird. Um die Entsolidarisierungsdebatte diskriminierungsfrei zu führen, müsste man aus akademischer Sicht auch im Gasnetz genauer hinschauen und die Dämmstofffabrikanten an der Refinanzierung der Gasnetzinfrastruktur beteiligen, da sie eine Entsolidarisierung durch verminderten Heizgasverbrauch unterstützen. Gleiches gilt für Hobbygärtner, die den Lebensmittelhandel unterminieren, indem Sie Gemüsebeete zum Selbstverzehr anlegen. Nebenbei bemerkt sind Hobbygärtner im aktuellen Bestseller „Blackout“ von Marc Elsberg während des dort beschriebenen Szenarios eines zweiwöchigen Stromausfalls klar im Vorteil, inselnetzfähige Stromeigenerzeuger im Übrigen auch.

Aufbau von steuerbaren Kapazitäten
Der Eigenverbrauch betrifft in immer stärkeren Maße – und das ist auch politisch gewollt und gut so – die Photovoltaik, die sich durch eine gute Skalierbarkeit auszeichnet. Bislang sind es eher Tarifkunden, mit weiter voranschreitender PV-Lernkurve wird das Thema aber auch für Gewerbe- und Industriekunden interessant. Acht bis zehn Cent pro Kilowattstunde durchschnittliche Vollkosten sind bei größeren Dachanlagen darstellbar. Aus der Historie heraus sind Eigenerzeugungsanlagen in Industrie und Gewerbe eher als KWK-Anlagen bekannt. Die KWK-Förderung hat in der Vergangenheit trotz des hohen Potentials nicht ausgereicht, um die hohen Anforderung der Industrie bezüglich der Kapitalrücklaufzeit zu erfüllen. Der Anstieg der EEG-Umlage ist mittlerweile ein wichtiger Hebel, um hier die Entscheidungsträger zu einer Investitionsentscheidung zu bringen. Der Vorschlag, auch die Kartoffeln aus dem eigenen Garten mit einer Abgabe zu belegen, würde diesen Investitionsanreiz allerdings untergraben.

Dies ist vor dem Hintergrund der Kapazitätsdiskussion besonders bedenklich, da KWK (plus Anlagen im Biogasbereich) momentan der einzige disponible Erzeugungsanlagentyp ist, der zugebaut wird. Mit der Debatte um den Eigenverbrauch werden Investoren verunsichert, die steuerbare Kapazitäten zubauen können und wollen. Der potentielle Zubau, der deswegen nicht umgesetzt wird, fehlt als gesicherte Leistung im Kraftwerkspark Deutschland und muss durch andere Instrumente aufgefangen werden, wie den noch relativ unausgegorenen Vorschlägen zu Kapazitätsmärkten. Wenn der KWK-Ausbau und der Ausbau der steuerbaren Biomasse ausgeweitet werden kann, muss man sich um fehlende Kapazitäten und Stromverknappungen in Engpasssituationen wie im Februar 2012 eventuell keine Sorgen mehr machen.

Ein weiterer Pluspunkt für den Eigenverbrauch ist die Erzeugung und Verbrauch von Strom im regionalen Zusammenhang. Damit wird ein zentraler Schwachpunkt der Energiewende – der langwierige Netzausbau – umgangen. Weiterhin verbessert sich auch die Netzstabilität und Systemsicherheit, wenn Strom nicht mehrere hundert Kilometer transportiert werden muss. Über den Eigenverbrauch nach § 37 EEG mit dem räumlichen Zusammenhang als wesentliches Merkmal, werden lokale Geschäftsmodelle geschaffen, die stabile regionale Wirtschafts- und Energiekreisläufe unterstützen.

Energieintensive Industrie
Es ist allgemeiner Konsens, dass die energieintensive Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht, vor zu starken Strompreisanhebungen zu schützen ist. Das gute Abschneiden der deutschen Wirtschaft der letzten Jahre hat aber nur eingeschränkt etwas mit dem Produktionsfaktor Energie zu tun, sondern dass sich der Faktor Arbeit seit der Euro-Einführung in Deutschland nur moderat verteuert hat. Somit sind vor allem die Lohnstückkosten im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig geblieben. Nichtsdestoweniger sollte die energieintensive Industrie im internationalen Wettbewerb auch bei dem Faktor Energie auf einem „levelized playing field“ spielen können. Darum wurden in der Vergangenheit zahlreiche Ausnahmeregelungen nicht nur bei der EEG-Umlage, sondern auch bei der Stromsteuer oder den Netznutzungsentgelten geschaffen und „zum Nulltarif“ gewährt.

Systematisch ist es zu bevorzugen, wenn man eine Befreiung von Netzentgelten und EEG-Umlage daran koppelt, das der Letztverbraucher schlicht weniger Energie aus dem Netz bezieht. Wenn die energieintensive Industrie somit durch eigene Anstrengungen die Energiebezugskosten minimiert und effiziente Energiewandlungsoptionen installiert, dann sollte man sie nicht auf der einen Seite bestrafen und dann wieder zur Kompensation auf der anderen Seite alimentieren. Dies ist widersprüchlich und führt nur zu höheren Transaktionskosten und zusätzlichen Verzerrungen.

Worauf es ankommt
Abschließend ist zu betonen, dass man bezüglich der EEG-Umlage schlicht den Mut haben muss, die Fakten beim Namen zu nennen. Die EEG-Umlage wird weiter steigen, das ergibt sich schon aus der logischen Konsequenz eines weiteren Ausbaus erneuerbarer Energien. Der Anteil von elektrischer Energie aus erneuerbaren Quellen steigt weiter an und die Refinanzierungskosten sowohl bei Wind als auch bei der (großen) Photovoltaik liegen bei etwa 10 ct/kWh. Auf diesen Wert wird sich die EEG-Umlage hinbewegen, aber auch nicht darüber hinaus.

Der Baseload-Contract liegt momentan unter 40 €/MWh, wohingegen in 2008 noch ein Preis von über 90 €/MWh festzustellen war. Diese Preisreduktion ist nicht nur den erneuerbaren Energien zuzuschreiben – was mit der EEG-Umlage refinanziert wird – sondern auch der Preisexplosion bei den fossilen Energieträgern in 2008.

Man kann somit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, ergänzt um die steuerbaren Kapazitäten der hocheffizienten KWK, als risikominimierende Strategie gegen eine unkalkulierbare Preisexplosion bei fossilen Energieträgern verstehen. Die Diskussion um eine Energiepreisbremse wäre im Vorfeld des Wahlkampfs ehrlicherweise da angebracht, wo sie dem Bürger wirklich weh tut: Beim Bezahlen der Heizölrechnung.

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Ein Kommentar von Dipl.-Wi.-Ing. Gunnar Kaestle, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektrische Energietechnik der TU Clausthal und wissenschaftlicher Beirat des BHKW-Forum e.V.

 

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